Monday, December 3, 2012

Merkel und die EU-USA Freihandelszone (TAFTA)


Dirk Müller - im deutschsprachigen Raum kennt man ihn unter seinem Spitznamen "Mr. Dax" - wärmte vor ein paar Jahren wieder einmal eine alte Idee auf, die seiner Meinung nach zu faireren Wettkampfbedingungen für die westliche Staaten im großen Monopoly der Globalisierung führen sollte, nämlich die Etablierung einer Freihandelszone zwischen der EU und den USA. Billigproduzenten wie China und India, die nicht "unsere Werte" teilten, sollten auf diese Weise der Vorteil des günstigen Produktionsstandorts genommen, und gleichzeitig den westliche Staaten zurückgegeben werden. Unter "unseren Werten" versteht der Mann  "sozialen Errungenschaften", die sich direkt oder indirekt auf die Produktions- und Lohnnebenkosten niederschlagen. Nun, könnte eine transatlantische Freihandelszone (TAFTA) wirklich helfen, und wenn ja, wem?
"Wir bauen um unser gemeinsames Wertesystem eine Zollmauer auf. Innerhalb des Systems befinden sich all die Länder, mit denen wir zumindest annähernd die gleichen Werte und Spielregeln teilen. Die Kontrollpunkte sind die Häfen und Flughäfen. Die Länder außerhalb dürfen dennoch selbstverständlich ihre Produkte innerhalb der Freihandelszone verkaufen, aber mit Aufschlag. Die Kosten für den Umweltschutz, der in der deutschen Waschmaschine eingebaut ist und in der asiatischen fehlt, werden als Zoll draufgeschlagen. Vielleicht 15 Prozent. Kinderarbeit eingebaut? 20 Prozent! Fehlende Arbeitsschutzrichtlinien für die Arbeiter ? 7 Prozent! So wäre ein Kampf mit gleichen Waffen geschaffen. Natürlich gäbe es einen Sturm der Entrüstung bei den internationalen Konzernen. Die Waschmaschinen in Deutschland würden teurer werden. Aber vielleicht würde es sich für einen Mittelständler in Schwaben wieder lohnen, eine Waschmaschinenfabrik zu eröffnen. Mehrere tausend Arbeiter würden eingestellt. Steuern, Löhne, Sozialabgaben würden fließen, und so weiter, und so weiter. Die Unternehmen innerhalb der Freihandelszone stünden dann immer noch in Konkurrenz zueinander, aber unter gleichen Bedingungen. Man ist Konkurrent, aber auch Partner. Alle Unternehmen müssen Löhne bezahlen, von denen die Menschen auch leben können. Es herrscht ein gesellschaftlicher Konsens, dass Kinder Kinder sind und keine billigen Sklaven.
Klingt verrückt?! Vielleicht. Aber immerhin so vernünftig, daß unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel schon seit Jahren hinter den Kulissen genau diesen Plan einer europäisch-amerikanischen Freihandelszone verfolgt." Dirk Müller [2010], S. 238

Müllers Bemerkung über Merkel mag so manchen überrascht haben, ist aber wahr und kein Geheimnis. Seit dem 22. November 2005 ist Angela Merkel die Bundeskanzlerin Deutschlands, einem Land, indem die Schere zwischen Arm und Reich im übrigen ähnlich weit auseinander geht, wie anderswo auf der Welt (In Deutschlands Städten wächst die Armut) und dessen Regierung ihre Statistiken schonunsglos und ungestraft schönfärbt, wie auch anderwso  (Bundesregierung schönt Armutsbericht). "Lobby-Merkel" steht zwar Putins Gegenvorschlag einer Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon eher negativ gegenüber, nicht aber, was die Amerikaner betrifft. Hier eine kleine Auswahl der Merkel'schen Erwähnungen bezüglich EU-USA Freihandelszone seit Amtsantritt:

2006
"Ich halte die Idee für faszinierend." Ein transatlantischer Bund, der rund 60 Prozent des heutigen Weltsozialprodukts innerhalb seiner Grenzen vereinen würde, sei nicht gegen andere Weltregionen gerichtet, diene allerdings sehr wohl "der Bündelung gemeinsamer Interessen"

2007
n-TV: Merkel wirbt für TAFTA
Die Zeit Online: Auf ein altes Pferd gesetzt
"Wir haben in Europa Erfahrungen mit einem gemeinsamen Binnenmarkt, die wir transatlantisch nutzen können [..] Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht immer weiter voneinander entfernen, sondern uns annähern, wo es für beide Seiten Vorteile bietet [...] Es ergibt doch zum Beispiel viele Reibungsverluste, wenn das Patentrecht in Amerika anders aufgebaut ist als in Europa." Beim kommenden EU/USA-Gipfel im April wolle sie über eine engere Zusammenarbeit auf ökonomischem Gebiet reden, kündigte Merkel an. "Das ist für mich von strategischer Bedeutung. Unsere Wirtschaftssysteme haben eine gemeinsame Wertegrundlage", fügte Merkel in dem Interview hinzu, das auch in der Londoner "Financial Times" erscheint. Die USA wie auch die EU stünden in "sehr hartem Wettbewerb" mit den asiatischen und künftig auch mit den lateinamerikanischen Märkten, sagte Merkel. Es komme darauf an, die Kräfte zu bündeln und bestimmte gemeinsame Interessen, wie den Schutz des geistigen Eigentums, auch gemeinsam international durchzusetzen."

2008-2011
Aus diesem Zeitraum konnte ich keine Äußerung Merkels finden. Aufgrund der Pleite der amerikanischen Investment Bank Lehman Brothers und des Zusammenbruchs des spekulativ aufgeblähten US-Immobilienmarkts und seiner globalen Folgen wäre im selbigen Zeitraum die Erwähnung einer Freihandelszone mit einem offensichtlich maroden Partner beim deutschen Wahlpublikum wohl eher schlecht angekommen. Vielleicht war Frau Merkel auch mit der Sicherung der Gelder deutscher Investoren in Griechenland zu sehr beschäftigt.


2012
(siehe auch Der Standard)

""Wir werden gerade jetzt nach der amerikanischen Wahl noch einmal versuchen, ob wir nicht die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen vereinfachen können, Freihandel treiben können zwischen Amerika und Europa", sagte Merkel. Davon würden beide Seiten profitieren. Hintergrund der neuen Offensive in der Bundesregierung ist eine gewisse Enttäuschung, dass sich Obama in seiner ersten Amtszeit nicht ausreichend um das Thema gekümmert hatte. Allerdings gibt es auch zwischen den EU-Staaten unterschiedliche Ansichten, wer von einem Freihandelsabkommen profitieren würde. Frankreich etwa fürchtet mehr Konkurrenz im Agrarsektor."

Ich persönlich glaube, daß Merkels Art und Weise mit vielen Worten nichts zu sagen schon immer die Deutschen günstig gestimmt hat, ihr Glauben zu schenken. Nicht daß dies für Politiker ungewöhnlich wäre, aber die deutsche Kanzlerin hat diese Kunst schon zu einer seltenen Blüte getrieben. Ihr Schweigen, das nur unterbrochen wird durch ihre dezente Phrasendrescherei, bildet die Leinwand, auf die der deutsche Bundesbürger alles das projizieren kann, was er sich von einer starken Volksmutti in unsicheren Zeiten zu erwarten wünscht. (Daß es darüber hinaus noch eine Art stillschweigender Übereinkunft in der deutschen Presse zu geben scheint, Merkel nicht ernsthaft zu kritisieren, trägt zu dieser Rollenbildung bei (vgl. meine irrige und vorschnelle Vermutung im Fall Timoshenko: Merkel ist schon Vergangenheit).
Daß die Frau sich allzuviel um die Kosten für Umwelt-, Kinder- oder Mutterschutz, Konsumenten- oder Arbeitnehmerschutz sorgte, halte ich für ein Gerücht. Ihre bisherige innenpolitische Tätigkeit bestätigt eher das Gegenteil. Ich denke, daß eine schleichende Beseitigung dieser "unserer Werte" in Deutschland  im Gange ist.  Mr. Dax träumt hier ein bißchen, wenn er ausgerechnet Merkel die Absicht unterstellt mit Hilfe des Freihandels "unsere Werte" retten zu wollen. Tatsächlich geht es den deutschen "Exportweltmeistern" wohl weit mehr um einen noch uneingeschränkteren Zugang zum amerikanischen Markt, als er ohnehin auf Basis der WTO und anderer Wirtschaftsabkommen schon existiert. Der EU-Handelskommissar Karel De Gucht spricht hier Klartext: 

2011
EU verlangt offenere Märkte von USA
"Wenn sie wirklich über ein ehrgeiziges neues transatlantisches Handelsabkommen reden wollen, müssen sie mir die Frage beantworten, warum sie ihren Markt nicht öffnen", sagte der Kommissar. Der europäische Markt sei zu 90 Prozent für fremde Unternehmen zugänglich, der US-Markt hingegen nur zu rund einem Drittel. "Wir bitten nur um eines: Gebt unseren Unternehmen eine faire Chance" , sagte De Gucht. "Wir bitten nicht um eine bevorzugte Behandlung, aber wir wollen offene Märkte." 
Weiters geht De Gucht auf "zollfreie Handelshemmnisse" ein, die also mit einer reinen Freihandelszone auch nicht gelöst werden können. (Die Probleme liegen woanders).
"Der Abbau von Zöllen zwischen den USA und der EU ist De Gucht zufolge zwar wichtig. Er hält es aber für bedeutender, nichttarifliche Handelshemnisse zu beseitigen. "Wenn wir nur die Hälfte der zollfremden Handelshemnisse aus dem Weg räumen, wäre das wirtschaftliche Ergebnis enorm", sagte er. Es werde unterschätzt, wie schwierig Fortschritt hier sei. Im US-Automobilsektor etwa gebe es eine Menge Regulierungen. Im Gegenzug könne Europa mit harten Forderungen der US-Seite rechnen. "Wir können davon ausgehen, dass zum Beispiel neue Debatten über Hormone und das Klonen aufkommen, da gibt es eine ganze Reihe saftiger Themen", sagte De Gucht. "All diese Handelshemnisse sind in der Tradition verankert, in der Kultur, in Überzeugungen - und in der natürlichen Tendenz, sich selbst zu schützen.""

Insgesamt denke ich, daß es keinen Grund gibt anzunehmen, daß mit einer Freihandelszone mit den USA soziale Errungenschaften in Europa geschützt werden könnten. Wer wirtschaftspolitische Diskussionen in den US-amerikanischen right-wing Media kennt, der muss das Gegenteil erwarten: alles was aus Europa kommt ist entweder sozialistisch, kommunistisch oder schwul - sogar Fußball. Europäische Krankenversicherungssysteme sind sozialistisch und damit gefährlich. Euthanasie ist die Angst alter Menschen in Holland, die Ketten um den Hals mit der Aufschrift "Don't euthanize me" tragen (Kein Witz!!!) Die jahrzehntelange antikommunistische Propaganda tut ihre Wirkung noch heute.
Und wenn doch (unrealistischerweise) eine TAFTA zustandekäme und die Unternehmen tatsächlich in direkter Konkurrenz stehen würden, wie Müller im Eingangszitat meint, dann käme recht schnell die Frage nach den Wettbewerbsbedingungen auf den Tisch. Ja kann man sich dann die "sozialen Errungenschaften" der Europäer noch leisten? Fünf Wochen haben diese Deutschen Urlaub, die fleißigen Amerikaner nur zwei. Wie lange wird es dauern, bis sich "Hire & Fire" (willkürliche Anstellungen und Entlassungen) auch hierzulande durchsetzt - man muß doch nach denselben Regeln spielen! Das ist dann die Frage: nach welchen Regeln? Wollen wir in Deutschland oder in Österreich (mit seiner "Sozialpartnerschaft") amerikanische Verhältnisse? 

Mag schon sein, daß die amerikanischen "Werte" den europäischen ähnlicher sind, als die letzteren den chinesischen oder indischen "Werten". Identisch sind sie allerdings auch nicht. Und über die Gewinner einer solchen Freihandelszone, da kann man lange diskutieren. Mr. Dax jedenfalls ist überzeugt, daß die großen internationalen Konzerne die Verlierer wären, und sie sich deshalb der guten Kanzlerin entgegenstellen:
"Wenn da nicht die Lobby der internationalen Industrie und des großen Geldes wäre, die einer solchen Idee natürlich gegenübersteht wie der Teufel dem Weihwasser. Denn dann könnte man ja plötzlich nicht mehr die Arbeiter Europas gegen die Arbeiter Asiens ausspielen, und diese wunderbaren „Ausgleichs“-Geschäfte, dass man in Asien billig produziert und in Deutschland teuer verkauft, gingen auch nicht mehr. (Ein besonders krasses Beispiel dafür ist die amerikanische Supermarktkette Wal-Mart: Von ihren 6000 Lieferanten kommen 5000 aus Asien.) Doch leider ist es so, dass die Lobby der Industrie und des Geldes bestimmt, was in Europa und Amerika entschieden wird und was nicht. Nicht das Wohl des Volkes, sondern das Wohl der Mächtigen steht im Vordergrund. Wenn nur die Wahlen nicht immer wären. Dann müsste man der Bevölkerung nicht ständig mit allen möglichen Tricks die Entscheidungen schmackhaft machen und könnte viel freier agieren. So aber muss man den Menschen eben langwierig eintrichtern: „Globalisierung ist gut! Globalisierung ist gut! Globalisierung ist gut!“" Dirk Müller [2010], S. 239.
Im allgemeinen kann natürlich gesagt werden, daß international aufgestellte Unternehmen vom Wegfallen von Zollbeschränkungen ungemein profitieren. Aber der Großteil des deutschen Mittelstandes wird das nicht. Dazu kommt noch, daß jedes bilaterale Abkommen mit einem anderen billig produzierenden Staat natürlich durch die TAFTA nicht verhindert werden würde. Und schon können deutsche Hersteller schon wieder günstig woanders produzieren lassen (mit Kinderarbeit natürlich) aber diesmal in Deutschland UND den USA teuer verkaufen. Fazit: eine Freihandelszone schützt die eigenen "sozialen Errungenschaften" nicht, aber sie schafft hervorragende Profitmöglichkeiten für multinationale Konzerne und Banken (siehe unten).

Wirtschaftssysteme zu vergleichen ist oft schwierig. Aber werfen wir einmal einen kurzen Blick auf die NAFTA, der Freihandelszone zwischen Kanada, den USA und Mexiko, in Kraft getreten 1994. Wie sah es 10 Jahre später aus für Mexiko? Laut Joseph Stiglitz, wies Mexiko ein schwaches durchschnittliches jährliches pro Kopf Wachstum von 1% auf (im Vergleich dazu Südkorea im selben Zeitraum trotz Asienkrise 4,3% und China gar 7%). Die Hoffnungen auf eine Verminderung der Einkommensunterschiede zwischen den USA und ihren südlichen Nachbarn waren - wie überraschend - vergeblich. Ganz im Gegenteil, in 10 Jahren NAFTA wuchsen sie um 10,3%!!! Die Reallöhne mexikanischer Arbeiter fielen um 0,2% jährlich.  Interessant auch: Alle größeren mexikanischen Banken wurden von ausländischen Banken geschluckt (mit einer Ausnahme). NAFTA machte Mexiko zu einem ausgezeichneten Billiglieferanten für US-amerikanische Firmen, verhalf aber nicht zu einer eigenständigen Wirtschaft (Siehe Stiglitz: The Broken Promise of Nafta).

Fazit: Europäische Länder werden entweder mit den USA nicht mithalten können, die sich gerade mittels Freihandel andere Länder als Billigproduzenten halten, oder sie werden es den USA gleichtun.



update 04-12-2012
Spiegel Online: "Phrasomat": Bauen Sie sich Ihre Merkel-Rede!

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