Saturday, December 24, 2011

Bethlehem - In Memoriam Christopher Hitchens


Uninteressant oder gar langweilig war Christopher Hitchens nie. Der Mann, der freiwillig die Waterboarding Foltermethode auf sich nahm, um aus erster Hand berichten zu können, verstarb am 15. Dezember. Vielen Lesern seines kurzweiligen Der Herr ist kein Hirte: Wie Religion die Welt vergiftet blieb seltsamerweise besonders diejenige Antwort in Erinnerung, die der überzeugte Atheist dem christlichen Radiomoderator Dennis Prager  auf die folgende Frage gab: "Ich solle mir vorstellen, ich befinde mich in einer mir fremden Stadt, und die Nacht breche herein. Ich sähe mehrere Männer auf mich zukommen. Würde ich mich sicherer fühlen oder weniger sicher, wenn ich wüsste, dass sie gerade aus einer Gebetsversammlung kämen?"
Passend zur Adventszeit sollen hier die sechs kurzen Stadteportraits zitiert werden, die Hitchens zum Besten gab, um die Frage wiederum "aus erster Hand" zu beantworten, wobei er sich nur auf die Städte mit Anfangsbuchstaben 'B' beschränkten wollte. Bethlehem darf hier am heutigen Tage natürlich nicht fehlen:


Christopher Hitchens (1949-2011)


"In Bethlehem, das gestehe ich Mr. Prager gern zu, würde ich mich an einem guten Tag in der Abenddämmerung vor der Geburtskirche durchaus sicher fühlen. In der unweit von Jerusalem gelegenen Stadt bekam Gott, so glauben es viele, in Zusammenarbeit mit einer unbefleckten Jungfrau einen Sohn. »Die Geburt Christi war aber also getan. Als Maria, seine Mutter, dem Joseph vertraut war, fand sich's, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem heiligen Geist.« Ja, und der griechische Halbgott Perseus wurde geboren, nachdem Zeus die Jungfrau Danae in Gestalt eines Goldregens besucht und geschwängert hatte. Buddha kam durch eine Öffnung in der Hüfte seiner Mutter zur Welt. Der Aztekengott Huitzilopochtli wurde geboren, nachdem seine Mutter Coatlicue, »die mit dem Schlangenrock«, einen kleinen Daunenfederball aus dem Himmel empfangen hatte. Die Jungfrau Nana pflückte die Frucht eines Mandelbaums, der aus dem Blut des erschlagenen Urwesens Agdistis aufgegangen war, legte sie sich in den Schoß und gebar den Gott Attis. Die jungfräuliche Tochter eines Mongolenkönigs erwachte eines Nachts von einem grellen Licht, das sie umgab, und gebar den Dschingis Khan. Krishna wurde von der Jungfrau Devaki geboren, Horus von der Jungfrau Isis. Die Jungfrau Maia gebar Hermes, die Jungfrau Rhea Silvia Romulus. Aus irgendeinem Grund betrachten viele Religionen den Geburtskanal zwanghaft als Einbahnstraße, und sogar der Koran bringt der Jungfrau Maria Verehrung entgegen. Als die päpstliche Armee zu den Kreuzzügen ausrückte, um Bethlehem und Jerusalem zurückzuerobern, machte das allerdings keinen Unterschied: Die Truppen zerstörten nebenbei jüdische Gemeinden, plünderten unterwegs das ketzerische christliche Byzanz und richteten in den engen Gassen von Jerusalem ein Massaker an, von dem hysterische Chronisten hämisch berichteten, dass das Blut den Pferden bis zum Zaumzeug stand. Zwar droht stets neue Gefahr, doch diese Ausbrüche des Hasses, der Bigotterie und der Blutgier sind vorüber, und man kann sich mittlerweile relativ sicher fühlen auf und um den Krippenplatz. Dieser Platz bildet, wie der Namebereits andeutet, das Zentrum einer Touristenfalle, die mit ihrer Geschmacklosigkeit selbst Lourdes in den Schatten stellt. Als ich die erbärmliche Stadt zum ersten Mal besuchte, unterstand sie nominell der Kontrolle einer überwiegend christlich-palästinensischen Gemeindeverwaltung, die vor allem von der politischen Dynastie der Familie Freji beherrscht wurde. Bei jedem meiner nachfolgenden Besuche stand die Stadt gerade unter einer rigiden Ausgangssperre, die vom israelischen Militär verhängt worden war – dessen Präsenz an der West Bank wiederum in gewissem Zusammenhang steht mit dem Glauben an biblische Prophezeiungen, diesmal allerdings einem Versprechen, das ein anderer Gott einem anderen Volk gegeben hatte. Und hier kommt noch eine andere Religion ins Spiel. Die Streitkräfte der Hamas, die ganz Palästina als islamischen Waaf, also als ihr rechtmäßiges Land, fordern, haben bereits mit der Vertreibung der Christen aus Bethlehem begonnen. Ihr Führer Mahmud al-Sahar hat verkündet, dass alle Bewohner des Islamischen Staates Palästina dem muslimischen Gesetz unterstehen werden. In Bethlehem wird nun angeregt, Nichtmuslime der Jiziya zu unterwerfen, einer historischen Kopfsteuer, die im alten osmanischen Reich den Dhimmis oder Ungläubigen auferlegt wurde. Weibliche Verwaltungsangestellte dürften männliche Besucher nicht mehr mit Handschlag begrüßen. In Gaza wurde im April 2005 die junge Frau Jusra al-Asami erschossen, weil sie verbotenerweise unbeaufsichtigt mit ihrem Verlobten im Auto gesessen hatte. Der junge Mann kam mit einer Tracht Prügel davon. Die »Tugendpolizisten« der Hamas-Führung rechtfertigten den Mord an der Frau und die Misshandlung des Mannes mit »dem Verdacht auf unmoralisches Verhalten«. Im einst säkularen Palästina spionieren nun Banden sexuell frustrierter junger Männer geparkte Autos aus und haben die Erlaubnis, nach Gutdünken zu handeln. In New York hörte ich einmal eine Rede des mittlerweile verstorbenen Abba Eban. Der eloquente und bedachte israelische Diplomat sagte, am israelisch-palästinensischen Streit falle als Erstes ins Auge, wie leicht er zu lösen sei. Von dieser faszinierenden Feststellung ausgehend, führte er mit der Autorität des ehemaligen Außenministers und UN- Vertreters aus, es gehe ja um eine sehr einfache Sache: Zwei etwa gleich große Völker beanspruchten das gleiche Land. Die Lösung bestehe offensichtlich darin, zwei getrennte Staaten zu bilden. Das sei doch klar und müsse jedem einleuchten? Und genau das wäre auch schon Jahrzehnte zuvor geschehen, wenn man die messianischen Rabbis, Mullahs und Priester aus der Sache herausgehalten hätte. Doch jüdische und muslimische Geistliche hätten lautstark Exklusivansprüche auf eine gottgegebene Macht erhoben, und Christen in Endzeitstimmung hätten in Erwartung der Apokalypse – welcher der Tod oder die Bekehrung sämtlicher Juden vorausgehen sollte – die Diskussion weiterangeheizt. So sei eine unerträgliche Situation entstanden, und die gesamte Menschheit sei zur Geisel eines Konflikts geworden, in dem nun sogar ein Atomkrieg droht. Die Religion vergiftet alles. Sie gefährdet nicht nur die Zivilisation, sondern auch das Überleben der Menschheit."
Heyne, München, 2009, Kapitel 2, S. 30-42. 





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