Friday, December 23, 2011

Belgrad - In Memoriam Christopher Hitchens


Uninteressant oder gar langweilig war Christopher Hitchens nie. Der Mann, der freiwillig die Waterboarding Foltermethode auf sich nahm, um aus erster Hand berichten zu können, verstarb am 15. Dezember. Vielen Lesern seines kurzweiligen Der Herr ist kein Hirte: Wie Religion die Welt vergiftet blieb seltsamerweise besonders diejenige Antwort in Erinnerung, die der überzeugte Atheist dem christlichen Radiomoderator Dennis Prager  auf die folgende Frage gab: "Ich solle mir vorstellen, ich befinde mich in einer mir fremden Stadt, und die Nacht breche herein. Ich sähe mehrere Männer auf mich zukommen. Würde ich mich sicherer fühlen oder weniger sicher, wenn ich wüsste, dass sie gerade aus einer Gebetsversammlung kämen?"
Passend zur Adventszeit sollen hier die sechs kurzen Stadteportraits zitiert werden, die Hitchens zum Besten gab, um die Frage wiederum "aus erster Hand" zu beantworten, wobei er sich nur auf die Städte mit Anfangsbuchstaben 'B' beschränkten wollte.


Christopher Hitchens (1949-2011)

"Belgrad war bis in die Achtzigerjahre die Hauptstadt Jugoslawiens, des Landes der Südslawen. Damit war sie definitionsgemäß die Hauptstadt eines multiethnischen und multikonfessionellen Staates. Doch ein säkularer kroatischer Intellektueller warnte mich einmal mit einer Anekdote, die mich an den Belfaster Galgenhumor erinnerte. »Wenn ich den Leuten sage, dass ich Atheist und Kroate bin«, sagte er, »bitten sie mich um einen Beweis dafür, dass ich kein Serbe bin.« Ein Kroate zu sein, heißt mithin, römisch-katholisch zu sein. Ein Serbe ist orthodoxer Christ. In den Vierzigerjahren entstand in Kroatien ein nationalsozialistischer Marionettenstaat, der unter dem Schutz des Vatikan stand und nicht nur alle Juden der Region auslöschen wollte, sondern auch versuchte, die Anhänger der anderen christlichen Konfession zum Übertritt zu zwingen. Zehntausende orthodoxer Christen wurden damals ermordet oder deportiert, und in der Nähe der Stadt Jasenovacs entstand ein riesiges Konzentrationslager. Das Regime des Generals Ante Pavelic und seiner »Ustascha«-Partei war so grauenhaft, dass sich sogar viele deutsche Offiziere davon distanzierten.
Als ich 1992 das Konzentrationslager von Jasenovacs besuchte, hatten sich die Verhältnisse umgekehrt. Die kroatischen Städte Vukovar und Dubrovnik waren von serbischen Streitkräften brutal bombardiert worden und befanden sich mittlerweile in der Hand von Slobodan
Milošević. Die vorwiegend muslimische Stadt Sarajevo war belagert und wurde rund um die Uhr bombardiert. Anderswo in Bosnien-Herzegowina, insbesondere am Fluss Drina, wurden ganze Städte geplündert und die Bewohner massakriert. Die Serben bezeichneten dies als »ethnischeSäuberung«, der Ausdruck »religiöse Säuberung« käme der Wahrheit aber wohl näher. Der exkommunistische Bürokrat Milošević war zu einem xenophoben Nationalisten mutiert. Seinen antimuslimischen Kreuzzug, der als Deckmäntelchen für die Einverleibung Bosniens in ein »Großserbien« diente, bestritt er größtenteils mit inoffiziellen Milizen, die aber seiner Kontrolle unterstanden. Diese Banden rekrutierten sich aus religiösen Eiferern, die häufig von orthodoxen Priestern und Bischöfen gesegnet wurden und hin und wieder Verstärkung von orthodoxen »Freiwilligen« aus Griechenland und Russland erhielten. Ihr besonderes Augenmerk richteten sie auf die restlose Zerstörung der osmanischen Zivilisation, so geschehen bei der besonders grauenhaften Bombardierung historischer Minarette in Banja Luka, die nicht etwa im Rahmen von Kampfhandlungen, sondern während einer Waffenruhe erfolgte. Nicht anders – und das wird häufig vergessen – gingen ihre katholischen Gegner vor. In Kroatien ließ man die Ustascha-Gruppen wieder aufleben und versuchte, wie schon im Zweiten Weltkrieg, die Herzegowina zu erobern. Die wunderschöne Stadt Mostar wurde bombardiert und belagert und die weltberühmte Stari Most (Alte Brücke), die auf türkische Zeiten zurückgeht und von der UNESCO als Weltkulturerbe geführt wird, so lange beschossen, bis sie in den Fluss stürzte. Letztlich spielten extremistische katholische und orthodoxe Kräfte einander bei der blutigen Teilung und »Säuberung« Bosnien-Herzegowinas in die Hände. Bis heute bleibt ihnen die öffentliche Schande dafür überwiegend erspart, weil die internationalen Medien immer von »den Kroaten« und »den Serben« sprachen und die Religion nur ins Feld führten, wenn von »den Muslimen« die Rede war. Doch die Begriffstrias »Kroate«,»Serbe« und »Muslim« ist uneinheitlich und irreführend, da es sich um zwei Nationalitäten und eine Religion handelt – Vergleichbares geschieht in der Berichterstattung über den Irak mit den drei Begriffen »Sunniten«, »Schiiten«und »Kurden«. In Sarajevo lebten während der Belagerung mindestens zehntausend Serben, und einer der führenden Befehlshaber der Verteidigung, ein Offizier und Gentleman namens General Jovan Divjak, dem ich unter Beschuss die Hand schütteln durfte, war ebenfalls Serbe. Auch die jüdische Bevölkerung Sarajevos, die auf das Jahr 1492 zurückging, identifizierte sich überwiegend mit der Regierung und der bosnischen Sache. Es wäre sehr viel zutreffender gewesen, wenn in Presse und Fernsehen berichtet worden wäre: »Heute haben die Streitkräfte der orthodoxen Christen die Bombardierung von Sarajevo wieder aufgenommen« oder »Gestern hat die katholische Miliz die Stari Most zum Einsturz gebracht«. Doch die religiöse Terminologie war den »Muslimen« vorbehalten, sogar dann noch, als deren Mörder sich die Mühe machten, sich mit einem großen orthodoxen Kreuz auf dem Schultergurt oder Bildern der Jungfrau Maria auf dem Gewehrkolben kenntlich zu machen. Auch hier gilt: Die Religion vergiftet alles, bis hin zu unserer Urteilsfähigkeit."



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