Wednesday, December 21, 2011

Beirut - In Memoriam Christopher Hitchens


Uninteressant oder gar langweilig war Christopher Hitchens nie. Der Mann, der freiwillig die Waterboarding Foltermethode auf sich nahm, um aus erster Hand berichten zu können, verstarb am 15. Dezember. Vielen Lesern seines kurzweiligen Der Herr ist kein Hirte: Wie Religion die Welt vergiftet blieb seltsamerweise besonders diejenige Antwort in Erinnerung, die der überzeugte Atheist dem christlichen Radiomoderator Dennis Prager  auf die folgende Frage gab: "Ich solle mir vorstellen, ich befinde mich in einer mir fremden Stadt, und die Nacht breche herein. Ich sähe mehrere Männer auf mich zukommen. Würde ich mich sicherer fühlen oder weniger sicher, wenn ich wüsste, dass sie gerade aus einer Gebetsversammlung kämen?"
Passend zur Adventszeit sollen hier die sechs kurzen Stadteportraits zitiert werden, die Hitchens zum Besten gab, um die Frage wiederum "aus erster Hand" zu beantworten, wobei er sich nur auf die Städte mit Anfangsbuchstaben 'B' beschränkten wollte.

Christopher Hitchens (1949-2011)


"Als ich im Sommer 1975 zum ersten Mal nach Beirut kam, war es noch als »Paris des Orients« erkennbar. Doch in dem scheinbaren Garten Eden tummelten sich bereits zahlreiche Schlangen. Die Stadt litt unter der Vielzahl von Religionen, die in der sektiererischen Staatsverfassung alle berücksichtigt waren: Der Präsident musste Christ sein, für gewöhnlich maronitischer Katholik, der Parlamentspräsident Muslim und so weiter. Diese Regelung funktionierte nie besonders gut, weil sie Unterschiede im Glauben, in der sozialen Stellung und in der Ethnie institutionalisierte; so befanden sich die schiitischen Muslime am unteren Ende der sozialen Skala, und die Kurden hatten nicht einmal das Wahlrecht. Bei der größten christlichen Partei handelte es sich in Wahrheit um eine katholische Miliz, die »Phalange« (»Phalanx«). Gegründet hatte sie der maronitische Libanese Pierre Gemayel, auf den Hitlers Olympische Spiele, die er 1936 in Berlin besuchte, großen Eindruck gemacht hatten. Im Jahr 1982 erlangte die Phalange traurige internationale Berühmtheit, als sie in den Flüchtlingslagern Sabra und Schaala in Zusammenarbeit mit dem israelischen Kriegsminister Sharon ein Blutbad unter Palästinensern anrichtete. Dass ein jüdischer General mit einer faschistischen Partei gemeinsame Sache machte, erscheint reichlich grotesk, allerdings hatte man einen gemeinsamen muslimischen Feind, was Grund genug war. Die israelische Invasion des Libanon in jenem Jahr war ein zusätzliches Motiv für die Gründung der Hisbollah. Die Organisation, deren Namen bescheiden »Partei Gottes« bedeutet, mobilisierte die schiitische Unterschicht und unterstellte sie nach und nach der Führung durch die theokratische Diktatur im Iran, die drei Jahre zuvor an die Macht gekommen war. Es geschah übrigens auch im herrlichen Libanon, dass die Gläubigen, nachdem sie der Geschäftszweig der Entführungen mit den Spitzen des organisierten Verbrechens zusammengeführt hatte, uns mit der wunderbaren Welt der Selbstmordattentate vertraut machten. Ich sehe noch den abgetrennten Kopf vor mir, der auf der Straße vor der fast völlig zerstörten französischen Botschaft lag. In Beirut jedenfalls wechselte ich auf die andere Straßenseite, wenn Leute aus Gebetsversammlungen kamen."
Heyne, München, 2009, Kapitel 2, S. 30-42. 








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